Sonntag, 20. Februar 2005

Wachstum ohne Grenzen?

Nach Meinung auch der meisten Wirtschaftswissenschaftler kann es einen Erhalt oder eine Neuschaffung von Arbeitsplätzen im Privatsektor nur bei einem kontinuierlichen Wirtschaftswachstum geben. (Und selbst dann ist es nicht garantiert, wie man in jüngster Zeit in vielen entwickelten Volkswirtschaften beobachten kann, wo oft die Produktvität schneller steigt als die Wirtschaft wächst, so dass kein Bedarf an zusätzlichen Arbeitskräften entsteht.)
Da frage ich mich folgendes: Wie kann eine bereits entwickelte Volkswirtschaft eigentlich immer weiter wachsen? Sicher nicht in den Sektoren, die die Güter des täglichen Bedarfs bereitstellen, wie Nahrung und Kleidung. Man kann nur eine begrenzte Menge an Nahrung am Tag zu sich nehmen und bei der Kleidung ist auch mal irgendwann Schluss, da man ohnehin nie mehr als ein Paar Schuhe, eine Hose, ein Hemd und einen Mantel gleichzeitig trägt. Ebenso benötigt man nie mehr als eine Waschmaschine, einen Herd, einen Kühlschrank usw. Der technische Fortschritt sorgt außerdem dafür, dass solche Güter eher länger als früher halten. Bei der Unterhaltungselektronik und der Kommunikationstechnik gibt es noch immer wieder Neuerungen, die Neuanschaffungen interessant machen, aber auch da wird die Fortschrittskurve mal abflachen. Und es ist auch nicht davon auszugehen, dass Otto Normalbürger mittelfristig ein Palais bewohnen und einen eigenen Fuhrpark unterhalten wird. Bliebe noch der Sektor Gesundheit und Wellness, der mit zunehmend älter werdender Bevölkerung sicher noch eine gewisse Zeit lang zu den Wachstumsmärkten gehören wird. Und dann?

Wenn aber entwickelte Volkswirtschaften vielleicht doch nicht immer weiter wachsen können und dann die Arbeitslosigkeit aufgrund von Produktivitätsfortschritten noch weiter zunehmen wird, was heißt das für eine soziale Marktwirtschaft? Stellt sich dann nicht die Frage der Verteilungsgerechtigkeit ganz neu? Denn das Leben in der Gesellschaft würde zu einer Art Lotterie werden, in der einige das große Los ziehen und von ihren Kapitaleinkünften leben könnten, andere ihren Unterhalt immerhin noch von Erwerbsarbeit bestreiten könnten, aber ein ganz erheblicher Teil der Menschen notwendigerweise leer ausginge. Und zwar trotz größten Einsatzes und größter Leistungsbereitschaft. Wie könnte es dann weitergehen? Sicher ist nur eines: Bei einer solchen Entwicklung wäre ein Zurückfahren der Umverteilung, wie sie im Moment durch Hartz IV und Senkung der Spitzensteuersätze praktiziert wird, ein Sprengsatz für die soziale Stabilität. Es wäre vielmehr wieder ein Mehr an Umverteilung notwendig. Dabei wäre es nicht einmal erforderlich, dass man Menschen ohne Arbeit direkt alimentiert, was sie zum einen in ihrem sozialen Selbstwertgefühl beschädigt und zum anderen immer wieder den (unberechtigten) Neid der Arbeitenden hervorruft. Besser wäre stattdessen, den öffentlichen Sektor wieder zu stärken und in ihm neue sinnvolle Arbeitsplätze, ob nun als Lehrer/in, Schwimmmeister/in oder Bibliothekar/in, entstehen zu lassen.
In den entwickelten Ländern werden die Länder mit einem starken öffentlichen Sektor wohl in Zukunft auch die mit der geringsten Arbeitslosigkeit sein.
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