Rückfall
Ich hab's doch wieder getan, ich konnte nicht anders: Ich hab "Sabine Christiansen" gekuckt.
Das Thema: Mindestlöhne. Das war einfach zu faszinierend. Normalerweise hätte die Sendung wieder die übliche "Fünf gegen Einen"-Arithmetik gehabt, wobei die Rolle des einen unverbesserlichen Sozialstaatsromantikers diesmal von ver.di-Chef Bsirske gegeben werden sollte.
Aber es gab eine unerwartete Wendung: Der ebenfalls eingeladene Wiener Bau- und Opernballlöwe Lugner, der als Unternehmer das übliche Klagelied von zu hohen Löhnen, zu geringer Flexibilität und zu viel Bürokratie hätte singen sollen, bewies, dass er eigenständig denken kann: Er stellte nämlich die berechtigte Frage, was überhaupt die Politik zwingt, die Globalisierung und die Öffnung aller Grenzen für sämtliche Kapital- und Warenströme derart schnell voran zu treiben anstatt sie zunächst sorgsam zu planen und vorzubereiten. Er ließ sich auch nicht dadurch beirren, dass Sabinchen gleich zweimal versuchte, ihm das Stichwort "Bürokratie" in den Mund zu legen. (Mit diesem reden sich ja seit neuestem die Marktradikalen gerne heraus, wenn sie erklären sollen, warum trotz Umsetzung praktisch aller Forderungen aus dem Unternehmerlager netto immer noch keine Arbeitsplätze entstehen.) Stattdessen sprach er (als Unternehmer!) sogar davon, dass die Konjunktur gerade auch deshalb lahmt, weil die Arbeitserbringer real immer weniger Geld mit nach hause nehmen können. Schade nur, dass Bsirske nicht merkte, dass er da einen unerwarteten Verbündeten hatte. (Ähnliches wie hier Lugner hat ja auch schon Porsche-Chef Wiedeking geäußert. Das beweist, dass Unternehmer durchaus auch über ihre eigenen Quartalszahlen hinaus denken können.)
Wirklich erschreckend war das Auftreten des Professors vom DIW, dessen Namen sich zu merken nun wirklich ein Zeichen hirnökonomischer Unvernunft wäre. Er machte gleich zu Beginn die schrecklich dumme Gleichung "Markt = Freiheit" auf, die er offenbar auch bei einem Sklavenmarkt erfüllt sähe. (Von dem Tagelöhner und Wanderarbeiter ja auch heute noch nicht allzu weit entfernt sind.) Ansonsten begnügte er sich damit, seine orthodoxen, modelltheoretischen Lehrsätze aufzusagen und ständig zu wiederholen, dass nur diese die "ökonomische Vernunft" darstellen, während alle anderen Anwesenden ja von "ökonomischer Unvernunft" infiziert seien. Da half es auch nichts, dass Bsirske haarklein die Praxiserfahrungen bei den europäischen Nachbarn darlegte, wo das Vorhandensein oder die Einführung von Mindestlöhnen in keinem Fall zu nachteiligen Beschäftigungeffekten führte. Schon ganz verzweifelt wies Bsirske schließlich noch darauf hin, dass der Arbeitsmarkt eben nicht denselben Regeln folgt wie ein Gütermarkt.
Für den Herrn Professor konnten diese schnöden Realitäten die schöne Theorie aber nicht anfechten.
Ein weiterer Tiefpunkt: Die sächsische Obergrüne Antje Hermenau fand sich ganz toll und clever, als sie dem immerhin ebenfalls grünen Bsirske mehrfach entgegenschleuderte, dass der Klassenkampf ja endgültig vorbei sei. Abgedroschener ging es kaum noch. Immerhin kann man mit einiger Berechtigung sagen, dass der Klassenkampf neu aufgenommen wurde: Nur diesmal von den eingebildeten und tatsächlichen Vertretern der Wirtschaftselite und mit dem Ziel, das was in Jahrzehnten an sozialstaatlichen Errungenschaften aufgebaut wurde, wieder ratzfatz einzureißen. (Beispiel: Die von Gesamtmetall finanzierte, aber als unabhängig getarnte PR-Organisation "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft".) Jeder, der in der "echten" Arbeitswelt zu tun hat, hat das schon mitbekommen. Ein Landtagsbüro gehört aber offenbar nicht dazu. Allen Ernstes vertrat diese Dame die Ansicht, dass selbst ein Mindestlohn von 5 Euro pro Stunde noch zu hoch sei, obwohl man damit trotz Vollzeitbeschäftigung weniger als 700 Euro netto im Monat zur Verfügung hätte.
Von den beiden anwesenden Ministerpräsidenten, Steinbrück und Milbrandt, machte Steinbrück zu meiner eigenen Überraschung einen sehr kompetenten Eindruck und nannte als einziger ein paar stichhaltige Argument gegen einen pauschalen Mindestlohn. Milbrandt hingegen wirkte zerfasert und wirr und sprach sich sogar gegen eine Ausweitung des Entsendegesetzes aus, obwohl seine Argumente gegen eine solche gar nicht zogen. (Worauf wieder Bsirske hinweisen musste.)
Alles in allem war die Sendung ein gutes Lehrstück dafür, wie wenig wir als mündige Staatsbürger auf die Meinungen sogenannter Experten setzen sollten. Denn erstens haben auch die Experten keine einheitlichen Lösungen parat, und zweitens werden sie nicht schon dadurch zu Vertretern der Vernunft, dass sie sich selbst dazu erklären. Man wird also auch in Zukunft nicht darum herumkommen, sich selbst über die öffentlichen Dinge zu informieren und sich selbst aus diesen Informationen ein Urteil zu bilden.
Das Thema: Mindestlöhne. Das war einfach zu faszinierend. Normalerweise hätte die Sendung wieder die übliche "Fünf gegen Einen"-Arithmetik gehabt, wobei die Rolle des einen unverbesserlichen Sozialstaatsromantikers diesmal von ver.di-Chef Bsirske gegeben werden sollte.
Aber es gab eine unerwartete Wendung: Der ebenfalls eingeladene Wiener Bau- und Opernballlöwe Lugner, der als Unternehmer das übliche Klagelied von zu hohen Löhnen, zu geringer Flexibilität und zu viel Bürokratie hätte singen sollen, bewies, dass er eigenständig denken kann: Er stellte nämlich die berechtigte Frage, was überhaupt die Politik zwingt, die Globalisierung und die Öffnung aller Grenzen für sämtliche Kapital- und Warenströme derart schnell voran zu treiben anstatt sie zunächst sorgsam zu planen und vorzubereiten. Er ließ sich auch nicht dadurch beirren, dass Sabinchen gleich zweimal versuchte, ihm das Stichwort "Bürokratie" in den Mund zu legen. (Mit diesem reden sich ja seit neuestem die Marktradikalen gerne heraus, wenn sie erklären sollen, warum trotz Umsetzung praktisch aller Forderungen aus dem Unternehmerlager netto immer noch keine Arbeitsplätze entstehen.) Stattdessen sprach er (als Unternehmer!) sogar davon, dass die Konjunktur gerade auch deshalb lahmt, weil die Arbeitserbringer real immer weniger Geld mit nach hause nehmen können. Schade nur, dass Bsirske nicht merkte, dass er da einen unerwarteten Verbündeten hatte. (Ähnliches wie hier Lugner hat ja auch schon Porsche-Chef Wiedeking geäußert. Das beweist, dass Unternehmer durchaus auch über ihre eigenen Quartalszahlen hinaus denken können.)
Wirklich erschreckend war das Auftreten des Professors vom DIW, dessen Namen sich zu merken nun wirklich ein Zeichen hirnökonomischer Unvernunft wäre. Er machte gleich zu Beginn die schrecklich dumme Gleichung "Markt = Freiheit" auf, die er offenbar auch bei einem Sklavenmarkt erfüllt sähe. (Von dem Tagelöhner und Wanderarbeiter ja auch heute noch nicht allzu weit entfernt sind.) Ansonsten begnügte er sich damit, seine orthodoxen, modelltheoretischen Lehrsätze aufzusagen und ständig zu wiederholen, dass nur diese die "ökonomische Vernunft" darstellen, während alle anderen Anwesenden ja von "ökonomischer Unvernunft" infiziert seien. Da half es auch nichts, dass Bsirske haarklein die Praxiserfahrungen bei den europäischen Nachbarn darlegte, wo das Vorhandensein oder die Einführung von Mindestlöhnen in keinem Fall zu nachteiligen Beschäftigungeffekten führte. Schon ganz verzweifelt wies Bsirske schließlich noch darauf hin, dass der Arbeitsmarkt eben nicht denselben Regeln folgt wie ein Gütermarkt.
Für den Herrn Professor konnten diese schnöden Realitäten die schöne Theorie aber nicht anfechten.
Ein weiterer Tiefpunkt: Die sächsische Obergrüne Antje Hermenau fand sich ganz toll und clever, als sie dem immerhin ebenfalls grünen Bsirske mehrfach entgegenschleuderte, dass der Klassenkampf ja endgültig vorbei sei. Abgedroschener ging es kaum noch. Immerhin kann man mit einiger Berechtigung sagen, dass der Klassenkampf neu aufgenommen wurde: Nur diesmal von den eingebildeten und tatsächlichen Vertretern der Wirtschaftselite und mit dem Ziel, das was in Jahrzehnten an sozialstaatlichen Errungenschaften aufgebaut wurde, wieder ratzfatz einzureißen. (Beispiel: Die von Gesamtmetall finanzierte, aber als unabhängig getarnte PR-Organisation "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft".) Jeder, der in der "echten" Arbeitswelt zu tun hat, hat das schon mitbekommen. Ein Landtagsbüro gehört aber offenbar nicht dazu. Allen Ernstes vertrat diese Dame die Ansicht, dass selbst ein Mindestlohn von 5 Euro pro Stunde noch zu hoch sei, obwohl man damit trotz Vollzeitbeschäftigung weniger als 700 Euro netto im Monat zur Verfügung hätte.
Von den beiden anwesenden Ministerpräsidenten, Steinbrück und Milbrandt, machte Steinbrück zu meiner eigenen Überraschung einen sehr kompetenten Eindruck und nannte als einziger ein paar stichhaltige Argument gegen einen pauschalen Mindestlohn. Milbrandt hingegen wirkte zerfasert und wirr und sprach sich sogar gegen eine Ausweitung des Entsendegesetzes aus, obwohl seine Argumente gegen eine solche gar nicht zogen. (Worauf wieder Bsirske hinweisen musste.)
Alles in allem war die Sendung ein gutes Lehrstück dafür, wie wenig wir als mündige Staatsbürger auf die Meinungen sogenannter Experten setzen sollten. Denn erstens haben auch die Experten keine einheitlichen Lösungen parat, und zweitens werden sie nicht schon dadurch zu Vertretern der Vernunft, dass sie sich selbst dazu erklären. Man wird also auch in Zukunft nicht darum herumkommen, sich selbst über die öffentlichen Dinge zu informieren und sich selbst aus diesen Informationen ein Urteil zu bilden.
hdressel - 18. Apr, 19:05