Staatsschulden als Last künftiger Generationen? Blödsinn!

Zum Thema Staatsschulden gibt es einen beliebten Denkfehler, der sogar von renommierten Gelehrten weiterverbreitet wird. So z.B. am letzten Samstag, den 15 .1.2005 in einem taz-Interview mit dem Historiker Götz Aly:
Die (soziale Wärme) belohnen die Deutschen, wie wir wissen, gerne. Damals ging sie zu Lasten anderer Völker. Heute geht sie über die Verschuldung zu Lasten der nächsten Generationen.

Nach diesem Denkfehler belasten Staatsschulden also künftige Generationen. Das ist aber, wie man sich leicht klarmachen kann, vollkommener Unsinn. Denn wenn der Staat Schulden macht, so muss er sie beim Privatsektor machen. Den Schulden im öffentlichen Sektor stehen also private Vermögensposten in gleicher Höhe gegenüber, die ebenfalls an nachfolgende Generationen weitervererbt werden. Der Staat kann nur beim gegenwärtigen Privatsektor Schulden machen, nicht bei künftigen Generationen, die noch nicht geboren sind und folglich auch nichts verleihen können. Da der Saldo zwischen öffentlichen Schulden und Staatsanleihen im Privatbesitz Null ist, hat man es hier wie so oft nicht mit einer Generationen- sondern mit einer Verteilungsfrage zu tun: Die einen erben Staatsanleihen und die anderen müssen über Steuerzahlungen die öffentlichen Kredite bei diesen Erben bedienen. Dieses Problem ließe sich aber z. B. durch eine Erbschaftssteuer von 100% aus der Welt schaffen: Über kurz oder lang würden die Staatsschulden auf Null zurückgehen. Künftige Generationen würden dann eben keine privaten Vermögen erben, aber eben auch keine staatlichen Schulden. (Das geht allerdings nur bei inländischen Gläubigern, weshalb man auf eine ausgeglichene Leistungsbilanz achten sollte.) Ein Gerechtigkeitsproblem würde sich daraus auch nicht ergeben, denn ererbtes Vermögen ist schließlich kein verdientes Vermögen. (Man sollte natürlich weiterhin großzügige Erbschaftssteuer-Freibeträge beibehalten, damit niemand sein Elternhaus veräußern muss.)

Die einzige Weise, auf die wir uns an künftigen Generationen versündigen können, ist über den Raubbau an der Natur, denn diese darf man nicht als Eigentum der nur heute lebenden Menschen betrachten. (Ganz im Sinne des etwas abgegriffenen, darum aber nicht minder wahren Spruches, nach dem wir die Erde nur von unseren Kindern geliehen haben.)

Aber ein für alle Male: Staatsschulden sind eine Verteilungs- und keine Generationenfrage!
flubber - 18. Jan, 22:46

Guter Schnipsel.

Dieser Gedanke... :)

beberlei - 24. Jan, 00:12

keine geschlossene vw!

du hast ja auf einen artikel in meinem blog bzgl. staatsverschuldung und stabilitätspakt etwas ähnliches geposted. meine antwort darauf auch mal hier, da es sehr wichtig fürs verständnis ist:

"das wäre vielleicht der fall, wenn deutschland das einzige land dieser welt wäre. dummerweise sind längst nicht 100% aller staatsanleihen in der hand deutscher besitzer. da bringt alles hauen und kloppen nichts. der staat muss zins und tilgung zahlen und der deutsche privathaushalt bekommt davon vielleicht ein kleines bißchen zurück. der größere batzen jedoch geht ganz sicher ins ausland, an andere zentralbanken."

weiterhin: 100% erbschaftssteuer würden da absolut nichts bringen, da du so erst einmal die steuerflucht weiter förderst und auch unterschätzt, wie wenig deutsche anteile am deutschen t-bond haben...

übrigens ist ein historiker kein gelehrter der ahnung von staatsverschuldung hat und peter bofinger rennt dem irrglauben hinterher, dass angebot eigene nachfrage kreiirt. sein buch habe ich zwar nicht gelesen, ich bin mit meinem stoff noch weit hinterher, habe nichtmal wealth of nations hinter mehr, da kann ich doch keinen aktuellen stoff lesen, 20 bücher stehen bis dahin sicher noch auf der liste und es werden mit jedem semester mehr :)
hdressel - 24. Jan, 20:34

Positive Aussenbilanz

Hallo Beberlei,

hier auch noch mal die Antwort, die ich Dir in Deinem Blog auf Deine Antwort gegeben habe:
Dein Argument würde bei einer negativen Außenbilanz stimmen. Deutschland hat aber eine positive Außenbilanz, d.h. das Ausland hat unterm Strich sogar noch Kredit bei uns. Somit kassieren die künftigen Generationen sogar noch mehr an Zinsen, als wenn sie nur Gläubiger des deutschen Staates wären, und die Bezeichnung von Staatsschulden als Last künftiger Generationen stimmt noch weniger.

Bofinger ist übrigens nicht derjenige mit dem Angebot, das seine eigene Nachfrage erzeugt. In diese Kategorie fällt ein Hans-Werner Sinn, der von Bofinger ziemlich eindrucksvoll widerlegt wird.
beberlei - 24. Jan, 22:54

zu bofinger hast du recht, aber das meinte ich. er ist keynesianist und das passt einfach nicht, habe mich einfach im ausdruck geirrt hehehe...

=> http://www.wams.de/data/2004/11/28/366729.html

Wer eine Meinung hat, die im Gegensatz zur allgemein verbreiteten Sichtweise steht, bekommt ziemlich schnell ein Problem: Er wird belächelt. Peter Bofinger ist so ein Mensch. Der Würzburger Professor ist ein Verfechter der Nachfrageseite der Wirtschaftswissenschaften. Er vertraut dem Keynesianismus und glaubt, daß die meisten seiner Kollegen irren, wenn sie fordern, Deutschland müsse allgemein kürzertreten.

hdressel - 26. Jan, 21:17

Pragmatismus gegen reine Lehre

Der Keynesianismus erlebt inzwischen ein weltweites Comeback, weil sich seine Annahmen und Schlussfolgerungen in der Praxis als richtig erwiesen haben, während die aus der neoklassischen Orthodoxie abgeleiteten Experimente als Fehlschläge endeten. Die neoklassische Theorie rechnet halt mit mathematisch klaren Formeln, hat aber leider auch nichts mit der Realität zu tun.
Daher ist Bofinger weltweit gesehen überhaupt nicht isoliert (ich nenne nur Stiglitz, Amartya Sen und Krugman) und auch in Deutschland glücklicherweise schon lange nicht mehr der einzige, der von der Orthodoxie abweicht. (Hier wäre z.B. Gustav Horn zu nennen.) Allerdings hält man hier in der Tat auch wieder ganz besonders verbissen an der reinen, schönen Lehre fest. (Wie z.B. ein Hans-Werner Sinn.) Natürlich mit Unterstützung der Medien (FAZ, Welt, Spiegel, Zeit) und scheinbar unparteiischer Verbände und Stiftungen. (Bertelsmann-Stiftung, Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, Bürgerkonvent.)
beberlei - 26. Jan, 22:21

was heisst comeback? ich seh nur wie schröder und konsorten immer noch dem alten keynesianismus nacheifern, dessen gedanken seit jahrzehnten schon nichtmehr zeitgemäss sind. geldpolitik beinflusst auch kurzfristig das preisniveau und die wirkung von fiskalpolitik in offener volkswirtschaft ist auch mehr als fragwürdig...

mit dem neo-keynesianismus habe ich mich noch nicht beschäftigt, ich kann den lesestoff nicht wie suppe runterlöffeln :) ich persönlich kann nur sagen, dass der staat nicht für sich beanspruchen kann perfekt zu sein um die fehlerhafte wirtschaft zu regulieren. ich würde es eher gegenteilig sagen: je freier die wirtschaft vom staat ist, desto eher kann sie sich regulieren ohne marktversagen zu provozieren... in der ökonomie gilt die weisheit "viele köche verderben den brei" nicht...
hdressel - 26. Jan, 22:50

Irrtum:

Rot-Grün hat jetzt seit einigen Jahren die Rezepte der Neoklassiker versucht: Steuern runter, Ausgaben streichen. Gebracht hat's, wie Du selber zugibst, wenig. Die Staatseinnahmen sind gesunken, die Menschen verunsichert, die Binnennachfrage stagniert, dadurch sinken die Staatseinnahmen noch weiter, es muss noch mehr gespart werden und so fort.
Ostracised - 24. Mär, 00:04

1. 100% Erbschaftssteuer ist ein interessantes Gedankenexperiment, in der Praxis aber sicher völlig undurchsetzbar. Trotzdem: Wäre es so, würden Menschen in ihrem Lebensabend einfach allen ihren Besitz verbrauchen oder verschenken oder gegen eine fixe laufende Pension abtauschen, die Staatsschulden würden SO sicher nicht verschwinden!

2. Staatsschuldendienst erfolgt aus den laufenden Steuereinnahmen, und die wiederum stützen sich auf die aktuellen Einkommen viel mehr als auf das Vermögen und die daraus erzielten Zinsen. Fast alle zahlen über ihre Einkommenssteuern an den Staatsschulden mit, die privaten Zinseinnahmen aus geerbten Bonds sind ganz anders und ungleichmäßig verteilt. Daher ist politisch die Generationenfrage sehr wohl wichtiger als die Verteilungsfrage.

hdressel - 25. Mär, 00:40

Ist das schlüssig?

Du schreibst, dass das Problem in einer ungleichmäßigen Verteilung von Zinseinnahmen aus Staatsanleihen liegt, und folgerst daraus, dass Staatsschulden weniger eine Verteilungs- als eine Generationenfrage sind? Das verstehe ich nicht.
Man könnte die Erbschaftssteuer übrigens auch so ausgestalten, dass sie sich nicht so leicht umgehen lässt wie Du schreibst. Sehr vermögende Menschen haben ja wesentlich mehr zu vererben als sie steuerfrei verschenken oder mittels Privatrente verbrauchen können. Davon abgesehen waren die 100% ja wirklich nur ein Gedankenexperiment. (Bei dem man auch nicht mehr wirklich von einer Steuer sprechen kann.) Aber irgendetwas um die 80% wäre schon praktikabel.
Ostracised - 25. Mär, 10:43

Ich versuche es anders zu beschreiben. Es ist zwar richtig, dass dem laufenden Staatsschuldendienst irgendwo Zinseinnahmen der Leihenden gegenüber stehen, aber deren Gewinn ist politisch schwer fassbar, u.a. weil er keinem demographisch besonders wichtigen Wählersegment zugeordnet ist. Wenn andererseits Sozialleistungen, Bildungsausgaben etc. gekürzt werden müssen, um neben fortlaufenden und neuen Staatsaufgaben (inkl. wachsenden Zuschüssen zu den Pensionskassen) auch die laufenden Zinsen bezahlen zu können, die aus dem Deficit Spending der 70er und 80er herrühren, dann ist das sehr sichtbar und tut Regierungen, die wiedergewählt werden wollen, genauso weh wie jedem Steuerzahler.

Es macht mir übrigens auch keinen Spass, die Orthodoxie zu verteidigen, aber ich bin leider ziemlich sicher, dass langfristige Defizite deutlich über dem Wachstumstrend sehr wohl teuflisch sind.

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