Wachstum ohne Grenzen?

Nach Meinung auch der meisten Wirtschaftswissenschaftler kann es einen Erhalt oder eine Neuschaffung von Arbeitsplätzen im Privatsektor nur bei einem kontinuierlichen Wirtschaftswachstum geben. (Und selbst dann ist es nicht garantiert, wie man in jüngster Zeit in vielen entwickelten Volkswirtschaften beobachten kann, wo oft die Produktvität schneller steigt als die Wirtschaft wächst, so dass kein Bedarf an zusätzlichen Arbeitskräften entsteht.)
Da frage ich mich folgendes: Wie kann eine bereits entwickelte Volkswirtschaft eigentlich immer weiter wachsen? Sicher nicht in den Sektoren, die die Güter des täglichen Bedarfs bereitstellen, wie Nahrung und Kleidung. Man kann nur eine begrenzte Menge an Nahrung am Tag zu sich nehmen und bei der Kleidung ist auch mal irgendwann Schluss, da man ohnehin nie mehr als ein Paar Schuhe, eine Hose, ein Hemd und einen Mantel gleichzeitig trägt. Ebenso benötigt man nie mehr als eine Waschmaschine, einen Herd, einen Kühlschrank usw. Der technische Fortschritt sorgt außerdem dafür, dass solche Güter eher länger als früher halten. Bei der Unterhaltungselektronik und der Kommunikationstechnik gibt es noch immer wieder Neuerungen, die Neuanschaffungen interessant machen, aber auch da wird die Fortschrittskurve mal abflachen. Und es ist auch nicht davon auszugehen, dass Otto Normalbürger mittelfristig ein Palais bewohnen und einen eigenen Fuhrpark unterhalten wird. Bliebe noch der Sektor Gesundheit und Wellness, der mit zunehmend älter werdender Bevölkerung sicher noch eine gewisse Zeit lang zu den Wachstumsmärkten gehören wird. Und dann?

Wenn aber entwickelte Volkswirtschaften vielleicht doch nicht immer weiter wachsen können und dann die Arbeitslosigkeit aufgrund von Produktivitätsfortschritten noch weiter zunehmen wird, was heißt das für eine soziale Marktwirtschaft? Stellt sich dann nicht die Frage der Verteilungsgerechtigkeit ganz neu? Denn das Leben in der Gesellschaft würde zu einer Art Lotterie werden, in der einige das große Los ziehen und von ihren Kapitaleinkünften leben könnten, andere ihren Unterhalt immerhin noch von Erwerbsarbeit bestreiten könnten, aber ein ganz erheblicher Teil der Menschen notwendigerweise leer ausginge. Und zwar trotz größten Einsatzes und größter Leistungsbereitschaft. Wie könnte es dann weitergehen? Sicher ist nur eines: Bei einer solchen Entwicklung wäre ein Zurückfahren der Umverteilung, wie sie im Moment durch Hartz IV und Senkung der Spitzensteuersätze praktiziert wird, ein Sprengsatz für die soziale Stabilität. Es wäre vielmehr wieder ein Mehr an Umverteilung notwendig. Dabei wäre es nicht einmal erforderlich, dass man Menschen ohne Arbeit direkt alimentiert, was sie zum einen in ihrem sozialen Selbstwertgefühl beschädigt und zum anderen immer wieder den (unberechtigten) Neid der Arbeitenden hervorruft. Besser wäre stattdessen, den öffentlichen Sektor wieder zu stärken und in ihm neue sinnvolle Arbeitsplätze, ob nun als Lehrer/in, Schwimmmeister/in oder Bibliothekar/in, entstehen zu lassen.
In den entwickelten Ländern werden die Länder mit einem starken öffentlichen Sektor wohl in Zukunft auch die mit der geringsten Arbeitslosigkeit sein.
beberlei - 22. Feb, 16:53

ole!

wachstum zumindest ökonomisches ist grenzenlos. natürlich ist es sich schwer vorzustellen, wie man immer noch mehr wachstum aus einer wirtschaft quetschen kann, aber es gibt soviele güter, die immer wieder erneuert werden müssen, dass wachstum auf jedenfall garantiert ist. täglich werden häuser abgerissen und neue aufgebaut, autos werden zerschrottet und neue gebaut, computer zu elektromüll und von dann wieder zu neuem.

natürlich ist die bekleidungs- und nahrungsmittelindustrie irgendwann am ende, aber das liegt ja auch daran, dass der mensch davon nicht unbegrenzt komsumieren kann. trotzdem ist die nahrungsmittelindustrie auch hier in deutschland nicht am wachstumsende. es gibt immer noch menschen, die viel weniger essen als die meisten (ich zum beispiel, hab nicht genug geld für lecker groß essen) und die steigerung des prokopf einkommens heisst ja nicht, dass wir es nur den reichen noch besser gehen lassen, sondern, dass auch die menschen die ärmer sind mehr haben als vorher. du hasst übrigens vergessen, dass man auch in bildung noch wesentlich mehr investieren kann und in zukunftsträume, die auch arbeitsplätze schaffen, wie z.B. bushs mars traum beispielsweise. städte im wasser, touristenflüge ins weltall, autos die fliegen können, es gibt noch soviele möglichkeiten...

um zu begreifen, dass ökonomisches wachstum unendlich ist, brauch man sicherlich ein gehöriges mass an phantasie. schon in science fiction filmen wie das fünfte element kann man sehen, dass es unbegrenzte möglichkeiten gibt das wachstum zu steigern. das einzige auf das man achten muss ist, dass der erde die rohstoffe erhalten bleiben und dass man den technologischen fortschritt soweit vorantreibt, dass ausbleibende rohstoffe ersetzt werden können. außerdem ist es für nationen, mit je größerem prokopfeinkommen umso schwerer das ganze noch zu vergrößern, da dort das wachstum nur durch den technologischen fortschritt nach oben gezogen werden kann, während in armen nationen das wissen und die investitionen von jahrzehnten fehlen und nachgeholt werden können. so kann man auch erklären, dass nationen wie estland oder südkorea problemlos so stark wachsen, während wir vor uns herkrebsen...

hdressel - 23. Feb, 20:57

Wachstum = höherer Lebensstandard?

Danke für Deinen Kommentar, aber ich glaube trotzdem nicht, dass es ewiges Wachstum geben kann. (Es reicht ja nicht, dass die Güter des täglichen Lebens immer wieder erneuert werden müssen, sie müssten dafür auch immer schneller erneuert oder durch immer hochwertigere Güter ersetzt werden.) Außerdem muss man sich ja auch mal fragen, ob Wachstum in entwickelten Ländern wirklich noch etwas über Lebensstandard und -qualität aussagt. So haben die Menschen heute ja trotz all der elektrischen Helfer im Haushalt nicht mehr Zeit für Kino, Theater, Konzerte und Essen gehen als z.B. vor 30 Jahren. Die Ernährung ist mit ihren Aromen und Geschmacksverstärkern auch eher vitalstoffärmer, also schlechter geworden. Oder um bei Deinem Beispiel Science-Fiction zu bleiben: Da werden meist Visionen gezeigt, die alles andere als erstrebenswert sind. (Denk doch mal an die Wohnung des Taxifahrers in "Das Fünfte Element".) Welche technische Neuerung könnte unser Leben denn noch wirklich entscheidend verbessern? Die wahren Verbesserungsmöglichkeiten liegen doch eher in den gesellschaftlichen Strukturen. So wäre es zum Beispiel für die meisten Familien schöner, wenn Eltern sich Erwerbsarbeit und Erziehung fifty-fifty teilen könnten. Und für die Menschen am unteren Ende der Skala wäre es toll, wenn sie nicht durch die Armut von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben (Theater, Volkshochschule, Freibad, Klassenfahrten) ausgeschlossen wären. Das hat aber alles so gut wie gar nichts mit Wirtschaftswachstum zu tun.
creature - 5. Mär, 17:12

ich finde deine überlegungen total richtig.
es ist derzeit ja so das die gewinne der unternehmen nicht in die volkswirtschaft zurückfließen sondern in die taschen der aktionäre, und die müssen nicht unbedingt hier leben!

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