Politik & Soziales

Samstag, 8. September 2007

"Neoliberale sind Anarchisten, die Polizeischutz vor ihren Sklaven wollen"

Das Originalzitat zu der Überschrift ("Libertarians are anarchists that want police protection from their slaves") hat der Autor der Mars-Trilogie, K.S. Robinson, einer seiner Figuren in dieser Romanreihe in den Mund gelegt.

Meines Erachtens gibt es keine bessere und prägnantere Zusammenfassung der neoliberalen Ideologie als diese. Sie beschreibt auch, was daran falsch ist. Denn Neoliberale betrachten die vollkommene Unterwerfung unter den Markt als Freiheit. (Nachzulesen bei dem neoliberalen Vordenker, August Friedrich von Hayek). Nicht nur, dass dieser Freiheitsbegriff natürlich vollkommen paradox ist, denn jeder Mensch mit ein bisschen praktischer Lebenserfahrung weiß, dass positiv verstandene Freiheit die Entfaltungsmöglichkeit eines Menschen meint und dass man auf dem Markt ohne Vermögen und besondere Fähigkeiten keinerlei Entfaltungsmöglichkeiten hat. Nein, nach den Neoliberalen soll der Staat auch ausgerechnet bei der Sicherung der Vermögens- und damit der Machtverhältnisse wieder seine ganze Härte zeigen. (Womit sie sich von den Anarchisten nun in der Tat unterscheiden.) Wenn also der Markt dazu führt, dass sich das Vermögen und die Produktionsmittel letztlich in den Händen einiger weniger konzentrieren und sich breite Bevölkerungsschichten zum Überleben in ausbeuterische Arbeitsverhältnisse begeben müssen, so soll die Staatsmacht eben diese Verhältnisse auch noch sicherstellen. Ein Ausgleich durch Umverteilung ist der Staatsmacht hingegen nicht gestattet, da dies ja einen Eingriff in das quasi-göttliche Wirken des Marktes bedeuten würde.

Die Menschen dürfen nach der neoliberalen Lehre also zum einen nicht, wie in einer Demokratie zu erwarten wäre, selbst über die Art und Weise des Wirtschaftens in ihrer Gesellschaft entscheiden. Zum anderen sollen sie noch nicht einmal die Ergebnisse dieses Wirtschaftens in Frage stellen und gegebenenfalls korrigieren dürfen.

Ein oder mehrere Superreiche könnten also zum Beispiel den Getreidemarkt leerkaufen, z.B. zur Herstellung von Biotreibstoff für ihre Lear-Jets, und die nach Brot hungernden Massen müssten dieses Ergebnis als gerecht akzeptieren. Tun sie es hingegen nicht, so muss die Polizei die Lear-Jets und deren Eigentümer noch vor deren Zorn schützen. Und all dies geschähe im Namen der Freiheit, wie die Neoliberalen sie verstehen.

Sonntag, 4. Juni 2006

Wieder im Angebot: Zwangsarbeit

Man muss sich schon fragen, ob die verantwortlichen Politiker der großen Koalition, die diese Woche bei Nacht und Nebel die Verschärfung der Hartz-Gesetze beschlossen haben, einfach nur dumm sind oder eine böse Absicht verfolgen. Zeitpunkt und Art der Beschlüsse sprechen eher für Letzteres.

Die Streichung sämtlicher Sozialgelder (einschließlich der Wohnkosten und der Gelder für die Kinder) nach dreimaligem Ablehnen eines Arbeitsangebots läuft nämlich de facto auf Zwangsarbeit und die Abschaffung des Sozialstaats hinaus. Der Staat führt ab sofort der Wirtschaft zu Dumpinglöhnen und miesen Arbeitsbedingungen zwangsweise Arbeitskräfte zu.

Manche Beschäftigte mögen nun sagen, dass sie sich ja auch jeden Tag aus dem Bett quälen, um sich Wohnung, Essen und Kleidung leisten zu können. Und auch Müntefering bemühte ja den Bibelspruch, wonach wer nicht arbeitet auch nicht essen soll.
Allerdings sollten diejenigen, die für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen, mal ein bisschen weiter denken statt sich gegen Arbeitslose ausspielen zu lassen. Dann werden sie nämlich erkennen, dass diese Verschärfung der Sozialgesetze mittelfristig auch ihnen schweren Schaden zufügen wird:
Wer immer in der Wirtschaft eine offene Stelle zu besetzen hat, kann diese nämlich nun zu absoluten Mindestkonditionen an die Behörden melden und bekommt dann von diesen billige Zwangsarbeiter zugeführt, die natürlich zu den jetzigen Beschäftigten in Konkurrenz treten. Gerade in Bereichen, in denen es nicht auf besondere Qualifikationen ankommt, werden freiwillig Beschäftigte mit noch akzeptablen Löhnen nach und nach durch Zwangsarbeiter ersetzt werden. Das allgemeine Lohnniveau wird auch für freiwillig Beschäftigte weiter sinken.

Gewinner bei all dem werden -wieder einmal- diejenigen sein, die von Kapitaleinkünften, d.h. von der Arbeit anderer leben.

Ich warne daher alle Beschäftigten in Deutschland dringenst davor, angesichts dieses Ausverkaufs von Arbeit still zu halten und ihn lediglich als ein Problem der Arbeitslosen zu betrachten. Wenn Arbeiter und Angestellte sich gegen Arbeitslose ausspielen lassen, hat das Kapital schon gewonnen.

Samstag, 1. April 2006

Konzernokratie

Konzern: Ein geniales Konstrukt, um persönlichen Profit ohne persönliche Verantwortung zu erhalten.

--- Ambrose Pierce, Das Wörterbuch des Teufels

Nie war das wahrer als in der heutigen Konzernokratie.

Mittwoch, 1. Februar 2006

Man wird ja wohl mal fragen dürfen

"Wer nicht fragt bleibt dumm", "Fragen kostet nichts", "Es gibt keine dummen Fragen, nur dumme Antworten". Diese Grundsätze habe ich schon als Kind gelernt. Sie stehen aber in krassem Widerspruch zur Aufregung um den sogenannten "Muslim-Test" in Baden-Würtemberg, der ja auch erstmal nichts anderes ist als eine Liste von Fragen. (Und zwar von Fragen, die allesamt nicht in Zusammenhang mit Religion im allgemeinen oder dem Islam im besonderen stehen. Necla Kelek hat deshalb in der taz vorgeschlagen, ihn treffender als "Pascha"-Test zu bezeichnen.)

Nach Meinung gerade vieler linksgesinnter Mitbürger handelt es sich bei diesem Fragebogen um "Gesinnungsschnüffelei", "islamophobe Diskriminierung", "Autoritarismus" und sogar "Totalitarismus". Und nach Meinung vieler Rechtskonservativer ist es einfach unanständig, Einbürgerungswillige nach der Einstellung zu schwulen Spitzenpolitikern und Familienmitgliedern zu fragen. Die könnten ja noch auf die Idee kommen, man fände Schwulsein hierzulande etwas ganz normales.

Entschuldigung, aber es geht immerhin um Einbürgerung und keiner wird bestreiten wollen, dass ein Bekenntnis zu den im Grundgesetz festgelegten Menschen- und Freiheitsrechten Voraussetzung für die Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft sein sollte. Ein Bekenntnis zu einem abstrakten Regelwerk ist aber schnell unterschrieben. Ist es deshalb auch schon verstanden? Die Fragen machen einem oder einer Einbürgerungswilligen immerhin klar, was diese Freiheitsrechte im konkreten Fall bedeuten, z.B. dass Frauen gleichberechtigte und freie Menschen sind, über deren Lebensführung weder deren Väter noch deren Brüder zu entscheiden haben.

Islamophob sind meines Erachtens diejenigen, die meinen, einbürgerungswillige Muslime vor diesen angeblich hinterhältigen Fangfragen schützen zu müssen, denn sie unterstellen ihnen, dass sie aufgrund ihres religiösen oder traditionellen Hintergrundes die falschen, also gegen Menschen- und Freiheitsrechte gerichteten Antworten geben könnten.

Seltsamerweise war auch unter Linken die Aufregung über das Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen in Bayern, Baden-Würtemberg und mittlerweile auch in Nordrhein-Westfalen nicht halb so groß wie über den baden-würtembergischen Fragebogen, obwohl es sich hierbei ganz eindeutig um eine grundgesetzwidrige Ungleichbehandlung und einen schwerwiegenden Eingriff in die Freiheitsrechte der betroffenen Frauen handelt. (Denn man unterstellt der kopftuchtragenden muslimischen Lehrerin, dass sie die Kinder in ihrer Klasse allein durch das Tuch auf dem Kopf indoktrinieren würde, während die Nonne in Ordenstracht selbstverständlich weltanschaulich neutral ist und daher unbehelligt bleibt. Bleibt nur zu hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht schnell die Gelegenheit bekommt, diese rechtlichen Schandflecken wieder zu entfernen.)

Das legt den Verdacht der Heuchelei nahe. Etwa nach dem Motto, dass es doch die Privatsache eines Einbürgerungswilligen sei, wie er seine Frau behandelt, dass es aber unzumutbar sei, die eigenen Kinder dem Anblick einer kopftuchtragenden Muslimin auszusetzen.

Heuchlerisch ist natürlich auch die baden-würtembergische Landesregierung, die den Fragebogen selbstverständlich allen Einbürgerungswilligen gleichermaßen vorlegen sollte, nicht nur solchen aus islamisch geprägten Ländern. Wie sehr man in Baden-Würtemberg zu den Werten der Toleranz, der Meinungsfreiheit und der weltanschaulichen Neutralität steht, erkennt man auch am erzwungenen Rücktritt des dortigen Sozialministers Andreas Renner. Der stand aufgrund eines Grußwortes zum CSD schon länger auf der Abschussliste der Konservativen. Ein Bischof hatte ihm bei einem privaten Treffen vorgeworfen, mit dem homo-freundlichen Kurs Ehe und Familie zu untergraben. Daraufhin hatte Renner es gewagt, den Bischof darauf hinzuweisen, dass der Zölibat auch nicht gerade familienförderlich ist. Dafür musste Renner nun seinen Hut nehmen.

Freilich scheint in Baden-Würtemberg ein ganz eigener Geist zu wehen, denn selbst der dortige Spitzenkandidat der Grünen, Winfried Kretschmann, fand des Bischofs Kritik an Renners CSD-Teilnahme "in Ordnung", während umgekehrt der Zölibat Andreas Renner nichts anginge. Mit solchen Grünen braucht man freilich keine Schwarzen mehr.

Montag, 26. Dezember 2005

Köhlers widerliche Größensucht

Horst Köhler in seiner Weihnachtsansprache: "Unser Ziel ist klar: Jahrzehntelang war Deutschland in Europa an der Spitze. Da wollen wir wieder hin. Das schafft Arbeitsplätze und Sicherheit."

Im Klartext heißt das: Wir kümmern uns nur um unsere Arbeitsplätze und unsere Sicherheit. Wie es bei den anderen Europäern oder sogar außerhalb Europas aussieht, ist uns scheißegal. Wir wollen die Sieger sein. Und wenn wir es nicht sind, dann macht uns das alles keinen Spaß mehr.

Und das in einer Ansprache zum Fest der Nächstenliebe. Was geht im Kopf dieses Mannes eigentlich vor? Hat der gar kein Anstandsgefühl, gar kein Empfinden dafür, dass gerade auch außerhalb Deutschlands abermillionen Menschen in bitterster Not und Armut leben? Wie Jean Ziegler so richtig festgestellt hat: Jedes Kind, das heutzutage verhungert, ist ermordet worden. Und unseren erklärtermaßen ach so christlichen Bundespräsidenten treibt um, dass Deutschland zu den Größten gehören muss. (Was es entgegen Köhlers Behauptung z.B. als Exportweltmeister ja ohnehin schon tut.) Ganz nebenbei spannt er die Arbeitslosen in Deutschland noch vor den Karren seiner Größensucht, denn ihnen dürfte kaum wichtig sein, ob Deutschland spitze ist oder nicht, solange sie nur wieder anständig Geld verdienen könnten. (Arbeitsplätze können ja auch oder gerade in Ländern entstehen, die nicht an der Spitze stehen.)

Für mich spricht dieser Mann jedenfalls nicht, denn ich will nicht an die Spitze. Mir wäre es lieber, wenn es gar keine Spitze gäbe, sondern alle Menschen ein gleichermaßen gutes und erfülltes Leben führen könnten.

Sonntag, 18. Dezember 2005

Todesstrafe

Dass die in den USA praktizierte Todesstrafe gegen sämtliche Prinzipien der ja gerade von Konservativen immer wieder gerne beschworenen westlichen Wertegemeinschaft verstößt, lässt sich ganz einfach nachweisen. Dafür muss man gar nicht darüber diskutieren, ob in den Todeszellen auch Unschuldige sitzen oder ob die Angehörigen von Minderheiten und sozial Benachteiligten unter den zum Tode Verurteilten überrepräsentiert sind. (Was sicher beides zutrifft.)

Nein, man muss lediglich eine andere Bestrafungsmöglichkeit in Betracht ziehen, die zwar kaum noch irgendwo praktiziert wird, aber als so etwas wie eine Vorstufe zur Todesstrafe betrachtet werden könnte: Die Zwangsamputation. Jeder hat schon einmal davon gehört, dass in einigen streng-islamischen Ländern Dieben eine Hand abgehackt werden kann. Da das Abhacken eines Körperteils aber in der Tat sehr blutig und oft mit Folgekomplikationen wie Infektionen verbunden ist, ist man selbst in solchen Ländern meist zu Zwangsamputationen übergangen: Ähnlich wie in den USA die zum Tode Verurteilten in einer Art "OP-Saal" mit medizinischem Know-How und Personal ganz unblutig und sauber zu Tode gespritzt werden (weil der oberste Gerichtshof besonders grausame Strafen ja verboten hat und diese Art der Tötung angeblich irgendwie humaner ist), so wurden und werden in einigen islamisch geprägten Ländern Straftätern in einer zwangsweise vollstreckten Operation medizinisch korrekt einzelne Gliedmaßen amputiert.

Das Seltsame ist nun, dass selbst in den USA solche staatlich veranlassten Zwangsamputationen als barbarisch und vorzivilisatorisch gelten würden. Nur: Wie kann dann die Todesstrafe, bei der der Staat einem Delinquenten zu einem vorher angekündigten Zeitpunkt und unter den Augen der Öffentlichkeit sämtliche Lebensfunktionen (und nicht nur die einzelner Körperteile) zerstört, als irgendwie mit der Zivilisation vereinbar gelten?

Das ist ein ganz klarer Widerspruch und insgeheim wissen auch die Repräsentanten der US-Justiz das: Denn wenn diese die Todesstrafe tatsächlich für eine moralisch einwandfreie Sache hielten, bräuchten sie deren Vollstreckung nicht so peinlichst vor der Öffentlichkeit verstecken. Sie könnten eine Hinrichtung ebenso filmen und übertragen lassen wie der Alltag in Gefängnissen journalistisch dokumentiert wird. (Wer für die Todesstrafe mit der schon widerlegten Abschreckungswirkung argumentiert, müsste sogar gegen jede nicht öffentlich übertragene Exekution sein.) Ebenso könnte man die an den Hinrichtungen beteiligten Vollstrecker einschließlich der Henker-Ärzte an die Öffentlichkeit treten und von ihren Erfahrungen berichten lassen. Das dies nicht der Fall ist, zeigt, dass auch die US-Justiz die ganze barbarische Dimension der Todesstrafe als ihr schmutziges Geheimnis betrachtet, dass man vor der Öffentlichkeit bewahren muss, um ihr den Appetit auf staatlich organisiertes Töten nicht zu nehmen. Denn dann wiederum wären deren Vertreter der Möglichkeit beraubt, auf einfache Weise "Härte" beweisen und sich damit für öffentliche Mandate empfehlen zu können. Wie auch Governator Schwarzenegger diese Woche bewiesen hat: Für ein paar Wahlstimmen gehen manche Menschen ohne Skrupel über Leichen.

Montag, 31. Oktober 2005

Rot-Grün reloaded

Nach dem überraschenden Abgang Münteferings werden die meisten Kommentatoren von Katzenjammer und Krise bei der SPD sprechen. Und die Parteilinken der SPD werden zu den Schuldigen erklärt werden - nur weil sich der herrische Noch-Parteichef nicht vorstellen kann, statt eines Kofferträgers eine selbstbewusste, junge Frau an seiner Seite zu haben.

Aber muss das notwendigerweise so sein? Es ist doch interessant zu sehen, dass mit Schröder, Müntefering und Joschka Fischer nun genau diejenigen abgetreten sind, die für eine sieben Jahre währende Ära von Rot-Grün standen, in der der Sozialstaat stärker demontiert wurde, als es unter Kohl je denkbar gewesen wäre. Nun wäre eine günstige Gelegenheit für die SPD-Linken zur Revolte. Sie könnten nun eine/n Vorsitzende/n installieren, die/der wieder den Fokus auf Gleichheit und Verteilungsgerechtigkeit legt.

Damit würde sich eine ganz neue Perspektive eröffnen: Es könnte dann nämlich tatsächlich doch noch eine Rot-rot-grüne Koalition zustande kommen, bei der niemand einen Gesichtsverlust erleiden müsste, da die Ausgangsposition eine ganz andere wäre.

Dann würde die linke Mehrheit in der Bevölkerung zu ihrem Recht kommen und es könnte einen wirtschaftlichen und sozialen Wechsel zu ganz neuen, faireren Zeiten geben.

Dienstag, 4. Oktober 2005

Leistung muss sich mindestlohnen

Ist schon mal jemandem aufgefallen, dass diejenigen, die einen Mindestlohn zu Teufelszeug erklären, exakt dieselben sind, deren Lieblingsparole vor ein paar Jahren war: "Leistung muss sich wieder lohnen"?

Ich frage mich, inwiefern sich Leistung für jemanden lohnt, der/die für Vollzeitarbeit einen Hungerlohn unter € 1000,- bekommt.

Darüberhinaus verstößt es gegen die grundgesetzlich geschützte Menschenwürde, wenn man einen Menschen acht Stunden am Tag für sich arbeiten lässt, aber diesen dann mit einem Lohn abspeist, mit dem er sich gerade mal so am Leben erhalten kann, ohne jede Chance, jemals eigenes Vermögen aufzubauen.

Also: Leistung muss sich mindestlohnen!

Montag, 12. September 2005

Die Krisen-Lüge

Vor der Bundestagswahl fällt mir vor allem die Krisen-, Untergangs- und Stillstandsrethorik auf, mit der die Mainstreammedien mit aller Macht das Blatt noch in Richtung Schwarz-Gelb wenden wollen. Da wird Deutschland mal mit einem brennenden Haus verglichen und mal mit einem untergehenden Schiff. Und um die Absurdität auf die absolute Spitze zu treiben wird sogar manchmal noch von Stillstand geschrieben.

Nur zur Erinnerung: Die aktuelle Regierung hat in den letzten drei Jahren soviel reformiert, wie die vorangegangene unter Kohl in 16 Jahren nicht. Und dieses durchaus auch zum Nachteil vieler Menschen. Von Stillstand also keine Spur. Zudem sollten diejenigen, die nach einem noch radikaleren und totaleren Umbau des Systems in Deutschland rufen, mal überlegen, in welche unheilvolle Tradition sie sich damit stellen.

Und dann zum angeblichen Schreckgespenst große Koalition: Es gibt in Deutschland nun mal keine stabile Mehrheit mehr rechts von der SPD. Das ist auch eine Folge der Wiedervereinigung, an die die Vertreter der großbürgerlichen Parteien CDU und FDP sich besser langsam gewöhnen sollten. Eine große Koalition hätte den Charme, dass auch unpopuläre aber nötige Änderungen endlich einmal umgesetzt werden könnten (Wegfall der Eigenheimzulage, Erhöhung des Renteneintrittsalters), ohne dass die CDU ihre neuerworbenen marktradikalen Vorstellungen a la Kirchhoff umsetzen könnte. (Ludwig Erhard würde sich beim Lesen des heutigen CDU-Programms übrigens im Grabe umdrehen. Sein Hauptwerk hieß schließlich "Wohlstand für alle" und nicht "Noch mehr Wohlstand für die oberen Zehntausend".)
Die große Koalition, die es in Deutschland schon einmal gab, war nach einhelliger Ansicht aller Historiker sehr erfolgreich.

Wer die große Koalition für das kleinere Übel vor einer marktradikalen schwarz-gelben Koalition hält, sollte am Sonntag SPD wählen.

Mittwoch, 2. Februar 2005

Bürokratieabbau leicht gemacht

Wenn mal wieder von den wirtschaftlichen Problemen in Deutschland die Rede ist, dann fällt immer ganz schnell auch das Stichwort "Entbürokratisierung". Meistens steckt dahinter aber nur die Absicht, Regeln zum Schutz von Verbrauchern, Beschäftigten und Umwelt zu stutzen, auf dass sich das Kapital umso freier und ungestörter entfalten möge.

Nun habe ich mal einen Vorschlag, mit dem man hunderte einzelgesetzlicher Regelungen auf einen Schlag abschaffen könnte, ohne dass irgendwer dadurch beeinträchtigt würde: Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare statt umständlicher Extragesetzgebung durch das Lebenspartnerschaftgesetz und die zugehörigen Regelungen in über hundert Einzelgesetzen. Die eingetragene Lebenspartnerschaft ist ein wahres Bürokratiemonster: Niemand weiß genau, in welchen Bereichen sie verpartnerte schwule und lesbische Paare rechtlich bereits gleichstellt und in welchen diese aufgrund der CDU-Blockade im Bundesrat weiterhin gegenüber Ehepaaren benachteiligt werden. (Diese Blockade lief im Resultat darauf hinaus, dass Lebenspartner füreinander sämtliche Pflichten übernehmen -siehe Bedarfsgemeinschaft bei Hartz IV-, dass aber im Gegensatz dazu bei weitem nicht alle Rechte wie bei Ehepartnern gewährt werden. So gelten bei gegenseitiger Beerbung dieselben geringen Freibeträge wie bei zueinander völlig fremden Personen.)

In den Firmen müssen Personalabteilungen erst mühsam recherchieren, welche Rechte bei sich verpartnernden Mitarbeitern in Bezug z.B. auf Sonderurlaub oder Partneransprüche aus der betrieblichen Altersversorgung gelten.

All dieser Aufwand wird getrieben, um künstlich zwischen einer homofreien Ehe und einem "Aliud" Eingetragene Partnerschaft unterscheiden zu können. Hinter dieser künstlichen Unterscheidung steckt kaum verhohlen die irrationale Befürchtung, dass gleichgeschlechtliche Paare das Institut der Ehe beschmutzen und so das Abendland dem Untergang weihen würden.

Dabei sollten Heteros sich klar machen, dass das Eheverbot für zwei Menschen gleichen Geschlechts den Gleichheitsgrundsatz und damit auch ihre Grundrechte verletzt: Durch die willkürliche Definition der Ehe als Mann plus Frau wird Männern verboten, was Frauen erlaubt ist (nämlich einen ledigen Mann zu ehelichen), und umgekehrt. Dass diese Definition willkürlich ist, haben die Niederlande und Belgien mit ihren mehrheitlich katholischen Einwohnern schon bewiesen. (Spanien gesellt sich bald dazu.)

Also: Hier gibt es eine goldene Gelegenheit, Bürokratie abzubauen. Da kein Gesetz (auch nicht das Grundgesetz) die Ehe ausdrücklich als ein Institut zwischen Mann und Frau festschreibt, könnte dieser Unsinn schon morgen per Erlaß an die Standesämter beendet werden, die ab sofort nur noch verheiraten statt verheiraten und verpartnern müssten. Spannend wäre es auch, die Reaktion von Politikern aus dem konservativ-bürgerlichen Lager zu sehen: Es würde sich schnell zeigen, wie ernst es ihnen mit ihrer Forderung nach Bürokratieabbau wirklich ist.
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